Willkommen zurück beim Exkurs in die Welt der Magiesysteme. Im letzten Artikel haben wir über die Originalität von Magiesystemen geredet und die, die wir kannten, in Themen-Kategorien unterteilt. Zum Abschluss habe ich zwei weitere Kategorien erwähnt, und zwar angeboren und erlernt. Darüber unterhalten wir uns heute.
Was ist der Unterschied zwischen angeborener Magie und erlernter Magie? Abgesehen natürlich von den namensgebenden Merkmalen. Die eine Magierichtung ist angeboren, die andere erlernt, aber ich will weiterdenken. Was resultiert aus diesen beiden Merkmalen, wie beeinflussen sie die Geschichte? Um das herauszufinden, ist es am einfachsten, bekannte Magiesysteme in diese Kategorien zu unterteilen.
Angeboren: “Truthwitch”, “Harry Potter”, “Skulduggery Pleasant”, Göttliche Magie wie in “Percy Jackson” und “Lucifer”
Erlernt: “Der Prinz des Drachen”, “Game of Thrones”
Ich habe absichtlich wenige Beispiele genommen, warum, siehst du am Ende des Artikels.
Schon bei dieser simplen Einteilung ist es mir schwer gefallen, zwischen Angeboren und Erlernt zu unterscheiden, denn die meisten Magiesysteme funktionieren so, dass eine Person mit magischen Genen sich ihrer Magie nicht bewusst ist oder sie nicht kontrollieren kann, und diese Kunst erst nach und nach erlernt. Die mangelnde Kontrolle entspricht zum Beispiel Harry Potter, wo magische Kleinkinder Magie instinktiv wirken (Harry lässt sich nach jedem Haarschnitt unbewusst die Haare nachwachsen) und sie erst mit einem Zauberstab und dem passenden Zauberspruch gezielt nutzen können. Das Nicht-Bewusst-Sein tritt in Skulduggery Pleasant auf, wo sich die magischen Talente ohne die passende Geste überhaupt nicht zeigen. Und auch mit dieser Geste muss man viel Zeit und Fokus in die Übung stecken, um Erfolg zu haben.
Wie du merkst, erinnern diese beiden Magiesysteme sehr an die erlernte Magie, aber nur deshalb, weil die Protagonisten in den Büchern von ihrer magischen Herkunft getrennt wurden. So wächst Harry Potter bei Muggeln auf und Walküre hat niemanden, der von ihrer Abstammung zu den Urvätern erzählt. Wären beide wie echte Zaubererkinder aufgewachsen, wäre der Unterschied zur erlernten Magie klarer.
Im Gegensatz dazu hat es die göttliche Magie einfach. Göttern sind die übernatürlichen Kräfte logischerweise angeboren und sie sind in der Lage, mit einem Fingerschnipsen einen Menschen zu pulverisieren, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Zaubern ist für sie wie atmen, niemand musste es ihnen beibringen. Ähnlich funktioniert die Magie in Truthwitch von Susan Dennard: Es gibt verschiedene Hexenarten, die mit ihrer Magie geboren werden. So kann eine Threadwitch beispielsweise schon immer die Schicksalsfäden der Leute sehen, eine Truthwitch spürt, wenn jemand lügt, und eine Bloodwitch hat die Nase eines Bluthundes.
Wie beeinflusst die angeborene Magie also die Geschichte? Zum einen ist sie viel gegenwärtiger, weil sie schon immer ein fester Teil des Lebens ist und auch immer einer sein wird. Zum anderen kann man mit verschiedenen magischen Szenarien spielen, was bei erlernter Magie schwerer ist, weil der Hauptfokus darauf liegt, sie erst einmal zu erlernen. Ideen wie: Was passiert, wenn einem schon immer allmächtigen Wesen die Magie weggeschnitten wird (wie in Lucifer) oder die allmächtigen Wesen die Menschheit terrorisieren (wie in Percy Jackson)? Und wenn seit Generation altehrwürdige Zaubererfamilien mit vollen Magiefähigkeiten zusammenleben, was für eine Gemeinschaft entsteht dadurch, welche Erfindungen gibt es, in welchen Konflikten stehen sie (wie in Harry Potter)? Welche Klischees haben sich über die verschiedenen Magierichtungen entwickelt, und wie fügen sich die Zauberer in die menschliche Gesellschaft ein (wie in Skulduggery Pleasant)? Wie erleichtert Magie den Zauberern das Leben oder das Abenteurern (wie in Truthwitch)?
Neben den unterschiedlichen Szenarien zählt vor allem eines: Was passiert, wenn Grenzen überschritten werden? Magieverlust, Magieüberfluss? Da die Magie bereits ein fester Bestandteil der Welt ist, muss man neue Herausforderungen erschaffen, um die Protagonisten auf Trab zu halten.
Anders sieht es bei erlernter Magie aus. Hier muss der Protagonist erst einmal das Magiesystem kennenlernen, um es nutzen zu können. Das erfordert viel Zeit und viele Buchseiten. In Game of Thrones geht Arya Stark ins Ausland, um das Gestaltwandeln zu lernen (es wird nicht so genannt, aber let´s be honest. Was ist es sonst?). Sie wird zu einer Assassinin des gesichtslosen Gottes, wodurch sie in der Lage ist, ihre Stimme und ihre Gestalt zu ändern. Allerdings muss sie dafür viele Monate in die Lehre gehen und unangenehme Arbeiten verrichten, während sie noch unangenehmere Lektionen erfährt. Sie muss schließlich Niemand werden, um ein neues Gesicht anlegen zu können, und das ist gar nicht so einfach. Arya hat (außer dem Wargen, aber das gilt nur fürs Buch) keinerlei magische Wurzeln, soweit wir wissen, deshalb könnte jeder an ihrer Stelle das Gestaltwandeln erlernen, was es klar der erlernten Magie zuordnet.
In Der Prinz des Drachen können Menschen, wie im ersten Teil dieser Artikelreihe bereits erwähnt, keine Elementmagie anwenden aufgrund ihrer Abstammung, dafür können sie Dunkle Magie erlernen. Dazu brauchen sie einige Zaubersprüche und Zutaten, und sobald sie die haben, kann es losgehen. Die Magie ist dadurch zwar eher angeeignet als angelernt, aber die beiden Begriffe sind miteinander verwandt. Angeboren ist sie hier auf keinen Fall, zumindest nicht bei den Menschen.
Erlernte Magie ermöglicht es den Lesern, zusammen mit dem Protagonisten in das Magiesystem einzutauchen und es nach und nach zu verstehen, während Leser von angeborener Magie für die ersten hundert Seiten oftmals verwirrt sind. Es braucht schließlich seine Zeit, bis ein Leser das versteht, was der Protagonist für selbstverständlich hält (So ist es mir kürzlich bei „Truthwitch“ ergangen). Bei erlernter Magie ist es vor allem spannend festzustellen, wie Magie eine Person verändert und was sie opfert, um sie zu erlernen. Das bloße Erlernen von Magie kann ein Handlungsstrang werden, wenn man es richtig anstellt.
Das sind sie also, die Unterschiede zwischen angeborener und erlernter Magie. Beide vermischen sich gelegentlich, weshalb man nie eine eindeutige Unterscheidung in der Praxis treffen kann. Aber wie die Literatur schon seit Urzeiten weiß, hat jede Regel Ausnahmen, und so ist es auch bei Magiesystemen.
Jetzt bist du dran: Wie beeinflussen andere Magiesysteme, die du kennst, die Geschichte? Kannst du sie eindeutig in angeboren und erlernt unterteilen oder fällt es dir schwer, wie mir bei “Harry Potter” und “Skulduggery Pleasant”? Wenn dir keine Magiesysteme einfallen, versuch dich an einem von diesen: “Supernatural”, “Eragon”, “The OA”, “Merlin”, “Narnia”, “Der Herr der Ringe”, “Good Omens”, “Grisha”, “Shades of Magic”, “Avatar”, “Mistborn”, “City of Bones”, “Tintenherz”, “Rubinrot”, “The Umbrella Academy”. Ich bin gespannt, was dir dazu einfällt!
