Schön, dass es dich wieder hierher verschlagen hat. Du willst mehr über Magiesysteme lesen? Dann bist du hier richtig. In den letzten Teilen dieser Reihe hast du zum einem eine Übersicht über die verschiedenen Arten von Magie erhalten, zum anderen eine Unterscheidung zwischen angeborener und erlernter Magie und wie diese die Geschichte beeinflusst. Wir haben festgestellt, dass Grenzen oft verschwimmen und man Magiesysteme nicht immer genau in eine Kategorie einteilen kann, aber das ist nicht weiter schlimm. Wir sind schließlich hier, um ein originelles Magiesystem zu erstellen, nicht um Akten zu sortieren.
Heute geht es um eine wichtige Lektion, über die Brandon Sanderson 90% seiner Zeit redet (okay, vielleicht auch nur achtzig): Hard und Soft Magic. Wenn man ein Magiesystem erstellt, muss man wissen, in welche der beiden Kategorien man gehören will.
Vereinfacht ausgedrückt, bezeichnet Hard Magic ein Magiesystem mit klar definierten Regeln, und Soft Magic ein Magiesystem, in dem es zwar Regeln gibt, sie aber dem Leser nicht dargelegt werden.
Beispiele für Hard Magic: Mistborn von Brandon Sanderson, City of Bones von Cassandra Clare, Skulduggery Pleasant von Derek Landy.
Beispiele für Soft Magic: Herr der Ringe von JRR Tolkien, Game of Thrones von George RR Martin, The Raven Boys von Maggie Stiefvater, Cruel Prince von Holly Black.
Hard Magic ist geläufiger, weil heutige Autoren gern alles erklären, damit die Leser auch ja keine Logikfehler vermuten. Das mag zwar ein richtiger Ansatz sein, ist aber schade, weil auch Soft Magic ihren Reiz hat. Mythic Scribes hat das in seinem Artikel sehr gut ausgedrückt: (https://mythicscribes.com/world-building/soft-magic-systems/)
„Magic was but a component to the awe and wonder within the stories. I didn’t need to know how magic worked, only that magic worked. I never questioned it and certainly wouldn’t have wanted to. Gandalf, for instance, simply wouldn’t have been the same figure of mystery and power if I knew the way his magic functioned.”
“Magie war nichts anderes als ein Beitrag zu dem Staunen und Wundern innerhalb der Geschichten. Ich musste nicht wissen, wie die Magie funktionierte, nur dass sie funktionierte. Ich habe es nie hinterfragt und wollte es sicherlich auch nicht. Gandalf, zum Beispiel, wäre einfach nicht dieselbe Figur voller Mystik und Macht gewesen, wenn ich gewusst hätte, wie seine Magie funktionierte.“
Das ist das, worauf Soft Magic hinarbeitet: Sie will die Leser zum Staunen bringen. Gleichzeitig wissen die Charaktere selbst nicht, was geschehen wird, weil auch sie nicht das Ausmaß der Magie kennen.
Andererseits kann man mit ihr nicht dasselbe wie mit Hard Magic erreichen. Um das zu erklären, muss ich weiter in Brandon Sanderson´s Theorie eintauchen.
In seinen Essays beschreibt er drei Gesetzmäßigkeiten, die er Sanderson´s Laws of Magic nennt. Das erste lautet wie folgt:
„Die Fähigkeit des Autors, Konflikte mit Magie zu lösen, ist DIREKT PROPORTIONAL dazu, wie gut der Leser diese Magie begreift.“
Es ist logisch, dass du den Drachen nur mit einem Schlafzauber besiegen kannst, wenn der Leser weiß, dass es Schlafzauber gibt und man Drachen damit einschläfern kann. Weiß er das nicht, wirkt es schnell wie deus ex machina, sprich eine aus dem Nichts erschaffene Lösung. Dasselbe Problem hat man zum Beispiel auch, wenn nicht genug mit Foreshadowing gearbeitet wird.
Ergo, mit Soft Magic hat man beim ersten Gesetz verloren, da die Definition selbst es widerlegt. Sie kann sehr wohl dafür genutzt werden, um Konflikte zu erschaffen, aber nicht, um sie auch zu lösen. Betrachte sie wie einen Schraubenschlüssel: Der Leser muss wissen, was das ist und wie er funktioniert, damit er dir am Ende glaubt, dass man damit ein Regal zusammenschrauben kann. Um ihm das verständlich zu machen, hilft es, wenn du im Laufe der Geschichte immer wieder kleinere Situationen schaffst, in denen die Funktionsweise und Wirkung der Magie zum Ausdruck kommt. Am einfachsten ist es natürlich, wenn man ein Buch über eine Zauberschule schreibt, weil man selbiges in den Unterrichtsstunden behandeln kann.
Natürlich gibt es auch ein Mischmasch. Bei manchen Magiesystemen kann man sich nicht klar entscheiden, ob es eher Soft oder Hard Magic ist. Beispiele dafür sind Harry Potter (es gibt zwar für die Schüler klare Regeln, aber es geschehen auch Dinge, die sie nicht genau erklären können) und Avatar (Die Regeln sind nur schwammig erklärt). Außerdem trifft bei beidem zu, dass die Kosten der Magiesysteme (eine wichtige Regel der Magie!) nicht wirklich vorhanden sind. Bei Avatar ist es teils Erschöpfung, aber bei Harry Potter lediglich Wissen. Solange sie die Zauberstabbewegungen und Sprüche kennen, können sie einen Zauber nach dem anderen raushauen.
Auf die Kosten und damit verbundenen Grenzen von Magiesystemen kommen wir in einem späteren Teil zurück, wenn es um die weiteren Gesetze von Sanderson geht.
Man kann nicht genau sagen, ob eine Bezeichnung als Mischmasch für ein Magiesystem legitimiert ist oder nicht. Der Autor weiß in vielen Fällen mehr als der Leser, daher kann es sein, dass er das gesamte Magiesystem ausgefeilt vor sich liegen hat, sich jedoch entschließt, nur einen kleinen Teil zu enthüllen. Folglich ist es für ihn Hard Magic, für den Leser allerdings Soft Magic. Man sollte sich dessen bewusst sein, während man sein Magiesystem erstellt und in einer Geschichte verarbeitet. Wahrnehmung ist individuell bestimmt, und wenn der Autor die Wahrnehmung des Lesers falsch einschätzt, kann es ganz schnell zu Unklarheiten und dem Gefühl von deus ex machina kommen.
Falls du dich mehr in das Thema vertiefen willst, habe ich hier vier Links zur Auswahl, die alle sehr interessant und lesenswert sind:
Sanderon´s Laws of Magic: https://coppermind.net/wiki/Sanderson%27s_Laws_of_Magic
Die Mischmasch-Magie: https://crrowenson.com/magic/types-of-magic/types-of-magic/
Diskussion: https://www.reddit.com/r/magicbuilding/comments/2s4gfe/discussion_hard_magic_vs_soft_magic/
Soft Magic: https://mythicscribes.com/world-building/soft-magic-systems/
Jetzt bist du dran: Welche Hard und Soft Magiesysteme kennst du? Und viel wichtiger, welches von beiden bevorzugst du? Soft Magic mit ihrem Sinn von Mystik, oder Hard Magic mit ihrer Logik?
